Psychodrama
"... sich in sein Gegenüber hineinversetzen und die Welt mit dessen
Augen sehen ...".
Dieses Zitat von J.L. Moreno ,
dem Begründer des Psychodrama, beschreibt sehr gut den Nutzen
und eine wichtige Vorgehensweise bei der Arbeit mit dieser Methode.
Psychodrama ist kein Rollenspiel, sondern es benutzt die Methode des
Rollentauschs mit dem Ziel, die eigene Perspektive zu wechseln und
einen Sachverhalt aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und
ihn durch unterschiedliche Motive gefärbt zu erleben.
Damit bekommen wir ein Gespür für die Lage unseres Gegenüber, wie er
sich behandelt fühlt, welche Motive und welche Handlungsalternativen
er aus seiner Rolle heraus besitzt.
Im Psychodrama können schwierige Situationen nachgestellt werden um
zu verstehen, warum z. B. eine Diskussion aus dem Ruder läuft und um
Handlungsalternativen "auf Probe" auszuprobieren.
Zum Verfahren Psychodrama
Allgemeines
Begründer des Methodensystems ist der Wiener Arzt (Psychiater,
Soziologe und Philosoph) Jakob L. Moreno; er war ein Pionier der
Gruppenpsychologie und der Gruppenpsychotherapie. Die
grundlegende Idee, einen wesentlichen Teil der praktischen
Entfaltung und der theoretischen Fundierung verdanken wir ihm.
Er entwickelte die Methode als Arzt eines Flüchtlingslagers, als
Leiter eines Stegreiftheaters, als Supervisor von Gefängnissen
und Heimen und nicht zuletzt als Leiter eines psychiatrischen
Krankenhauses.
Menschenbild
Nach seinem Menschenbild ist in jedem Menschen ein kreatives
Potential angelegt, das der Entfaltung in Rollen - Handlungs-
und Erlebensrollen d.h. sozialen und psychischen Rollen -
bedarf, um sich mit sich und der Umwelt zurechtzufinden und
Probleme aktiv handelnd zu bewältigen. Er sieht den Menschen als
Teil des Kosmos, als schöpferisches und soziales Wesen, das
Verantwortung für sein eigenes Tun und Mitverantwortung für die
Handlungen der Gruppen und der gesellschaftlichen Systeme, in
denen es lebt, trägt oder tragen können sollte.
Wenn menschliches Leben Bewegung und Entwicklung im Kontext
sozialer, natürlicher und kultureller Umwelt ist, dann ist
Krankheit Stau, Erstarrung, Fixierung. Sie zeigt sich in
einseitigen, eingeschränkten, schädigenden Beziehungs- und
Handlungsmustern, die sich im sozialen und kulturellen Atom wie
im Rollenatom eines Menschen spiegeln, zentralen Konzepten des
Psychodrama.
Von Anfang an hat Moreno den engen Zusammenhang zwischen
psychischer Krankheit oder Gesundheit der Einzelnen und
konstruktiven bzw. destruktiven sozialen Systemen gesehen und
eine entsprechende interpersonale Behandlungsmethodik
geschaffen.
Theoretische Begründung und methodische Einordnung
Das Psychodrama verfügt entsprechend seinem Menschenbild über
eine Persönlichkeitslehre, die in den Begriffen der Rolle und
des sozialen Atoms verankert ist. Menschen lernen und leben ihre
Rollen in ihrem jeweiligen Bezugssystem, ihrem sozialen Atom.
Ihre Persönlichkeit realisiert sich in Umfang und Qualität ihres
Bezugssystems und Vielfalt und Beweglichkeit ihres
Rollenrepertoires. Die Entwicklung von Rollenübernahme und deren
Störung, die Bedingungen für gelingende interpersonelle
Wahrnehmung wie Selbstwahrnehmung und deren Störung, die
Erfahrung subjektiver Freiheitsgrade bzw. deren Einengung,
Spontaneität und Angemessenheit von Handlungsvollzügen im
jeweiligen situativen Kontext sind dementsprechend Gegenstand
der das Psychodrama leitenden Theorie.
Beginnend mit den Arbeiten von Moreno und dessen
Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, fortgeführt mit der
Tradition der großen amerikanischen Sozialpsychologen (v.a.
Lewin), verbunden mit vielen Theorien und Protagonisten der
humanistischen Psychologie (wie Perls) und nicht zuletzt der
erst spät in den Blickpunkt gerückten systemischen Perspektive
befindet sich das PSYCHODRAMA in steter Entwicklung und
gegenseitigem verfahrensübergreifendem Austausch.
Das Psychodrama nimmt daher im Spektrum der Verfahren eine
integrative, und in seiner Vielfalt besondere Stellung ein mit
mancherlei Überschneidungen und Berührungen (v.a. mit der
Tiefenpsychologie, der systemischen Familientherapie, der
Gestalttherapie und verschiedenen Leib- oder Körpertherapien,
aber auch mit der Verhaltenstherapie). Es gehört zu den
Therapie-, Lern- und Selbsterfahrungsmethoden, die emotionale
Expression in verschiedener Intensität für wichtig halten.
Es nutzt und fördert die menschliche Fähigkeit zu szenischem
Spiel, zum Handeln in Rollen, zur Darstellung in Bildern und
Symbolen, zu ursprünglicher und selbstbewusster Leiblichkeit. Es
betont und entwickelt in seinem methodischen Vorgehen
mitmenschliche Gegenseitigkeit und soziale Kompetenzen ebenso
wie Autonomie und Wahlvermögen. Es bedient sich heute
vielseitiger theoretischer Modelle, um die bewegliche Vielfalt
menschlicher Ausdrucksformen aus verschiedenen Perspektiven zu
beleuchten und zu verstehen.
Der neueren Diskussion um die notwendige Pluralität in der
Psychotherapie kommt das Psychodrama entgegen:
Methodendurchlässigkeit, interpersonales Theorie- und
Praxismodell, szenisches Verstehen, Ressourcen- und
Lösungsorientierung, Begegnungsfähigkeit der Therapeuten und
Sinnfragen sind mit der psychodramatischen Begrifflichkeit wie
der therapeutischen Praxis bestens vereinbar. Dasselbe gilt für
Bereiche von Pädagogik und Schule und Anwendung in Institutionen
und Organisationen.
Psychodrama impliziert Wege lebendigen Lernens, bietet
ausgezeichnete didaktische Möglichkeiten und fördert
kommunikative und soziale Kompetenzen, nicht zuletzt
Teamfähigkeit und Gemeinschaftsgefühl. Es entwickelte sich von
daher auch zu einer Methode der Wahl für Supervision und
Organisationsberatung.
Fokus des Verfahrens
Das personenzentrierte Psychodrama ermöglicht durch die
szenische Darstellung gegenwärtiger, vergangener, zukünftiger
oder phantasierter Situationen innerhalb der Gruppe, in Paaren
oder in Einzelsitzungen
die Klärung problematischer
zwischenmenschlicher Beziehungen;
das Erkennen und Beheben von
Kommunikationsstörungen und dysfunktionalen Interaktionen;
die Aufdeckung von Konfliktursachen
(unter-schiedlicher Symptome) durch freie Assoziation von Szenen
in der psychodramatischen Aktion;
die Entwicklung fehlender Rollen und innerer
Figuren sowie
den Abbau bzw. die Umwandlung destruktiver
Rollenmuster;
das kathartische sowie das bewusst
reflektierende Wiedererleben abgewehrter Geschehnisse und
Gefühle im Spiel und ihre Integration in das gegenwärtige
Erleben;
das Erkennen und Akzeptieren von Grenzen und
Bewältigung der damit verbundenen Kränkung und Frustration;
das Einüben neuer Verhaltensweisen im
Rollenspiel;
das Entdecken und Erproben bisher ungenutzter
oder unbekannter Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung und
sozialen Begegnung.
Durch die Arbeit an der "Rollenmächtigkeit" (Moreno) wird
es möglich, Stärken zu fördern, Rollenfixierungen zu lösen und
Freiheit zur Wahl neuer Verhaltensweisen und Kontaktformen zu
schaffen.
Das gruppenzentrierte PSYCHODRAMA befasst sich mit den
dynamischen und soziometrischen Gesetzmäßigkeiten der Gruppe,
den Interaktionen und Konstellationen ihrer Mitglieder im Hier
und Jetzt wie mit den Ursachen, die die Produktivität und den
Zusammenhalt der Gruppe behindern oder fördern können. Mit Hilfe
soziometrischer Techniken wie Soziogrammen, Gruppenskulpturen
und symbolischen Bildern lässt sich Klarheit gewinnen über
Charakter und Intensität der jeweiligen Beziehungsgefüge und der
Rolle der einzelnen darin. Eingestandene oder uneingestandene
Anziehung, Distanz und Dominanz treten hervor, verborgene
Gruppenthemen und kritische Untergruppengefüge werden in freien
Gruppenspielen deutlich.
Das gruppenzentrierte Psychodrama wirkt in mindestens zwei
Dimensionen: es befördert Kohäsion und Arbeitsfähigkeit der
Gruppe und hilft gleichzeitig den Einzelnen, ihren Platz (d.h.
ihre Rolle, Funktion, Position, Status) im sozialen Gefüge einer
Gruppe zu erkennen und eigenverantwortlich und unter Anleitung
zu entwickeln.
Das themenzentrierte Psychodrama stellt ein für die Gruppe,
Einzelne oder die Organisation bzw. den Arbeitszusammenhang
wesentliches Thema in den Vordergrund, das auf vielen
verschiedenen Wegen erarbeitet und variiert werden kann z.B. in
Vignetten, Bildern, symbolischen Handlungen. Themenzentrierung,
sei es durch direkte Erarbeitung eines Themas oder durch
Verwendung z.B. eines Märchenthemas als Folie, befördert einen
mehrdimensionalen Lernprozess und bietet einen anregenden,
motivierenden und gleichzeitig schützenden Rahmen.
Das SOZIODRAMA ermöglicht einen Zugang zu gesellschaftlichen
Themen und Konflikten zum Beispiel im Rollen- oder Planspiel und
in der "lebenden Zeitung". Der Rollentausch hilft auch hier, das
eigene Handlungsspektrum und die Konfliktfähigkeit zu erweitern,
durch die Erfahrung, sich in ein fremdes, manchmal feindseliges
Gegenüber hineinzuversetzen und die Welt mit dessen Augen zu
sehen. Es fördert die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel.
Es ermöglicht überdies, durch die Übernahme unvertrauter Rollen
Zugang zu abgelehnten und Identifizierung mit bisher
unzugänglichen gesellschaftlichen Institutionen und Bereichen zu
schaffen und kann eine (Re-)Integration in die Gesellschaft
bedeuten.
Zusammenfassung
Das Psychodrama (nach J.L. Moreno) ist in seiner Lebendigkeit
und Vielfalt ein originelles, integratives Verfahren zur
Förderung kreativer Lebensgestaltung. Originär in und für
Gruppen entwickelt, bietet es auf der Basis eines
mehrdimensionalen Verständnisses für Menschen in sozialen
Systemen wirkungsvolle Konzepte für die Arbeit mit Einzelnen,
Paaren, Familien, Gruppen, Teams und Organisationen. Außerdem
werden gesellschaftliche und zeitgeschichtliche Einflüsse,
männliche und weibliche Rollenstereotype und Sinnfragen Thema in
ihrer Bedeutung.
Einsatzmöglichkeiten:
Einzel-, Familien- und Gruppenpsychotherapie
Jugend- und Drogenarbeit
Unterrichts- und Beratungstätigkeit
Klein- und Großgruppenarbeit
Supervision und Coaching
Organisationsberatung und Personalentwicklung
Agnes Dudler e.a., Bonn